Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand in Deutschland eine Jugendbewegung, die als Protestströmung gegen die damals herrschenden Verhältnisse in der bürgerlichen Gesellschaft zu verstehen ist. Zur selben Zeit entwickelten sich neben dem Wandervogel weitere Strömungen (Lebens- und Schulreformer, Vertreter der Frauen- und Arbeiterbewegung, Pfadfinderbewegung u.a.) mit ähnlicher Protesthaltung.
Die offizielle Gründung des Österreichischen Wandervogels (ÖWV) erfolgte am 30. Juni 1911, deutsche Wandervogelbünde dienten dabei als Vorbild. Neben dem Fahrtenleben, das das Wandern an sich, Kampieren und Kochen im Freien mit einschließt, wurden Naturverbundenheit, musische Betätigung (besonders Singen und Tanzen) und Abstinenz Ausdruck einer neuen Lebensform. Von Anfang an betonte der österreichische Wandervogel seine politisch und konfessionell unabhängige Haltung, auf die er bis heute besonderen Wert legt. Von 11. bis 13. Oktober 1913 wurde von etwa 4000 Jugendbewegten, darunter einem Teilnehmer des ÖWV, am Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meißner über Grundsätze und Ziele der Jugendbewegung diskutiert. Die dabei beschlossene Meißnerformel behält bis zum heutigen Tag ihre Gültigkeit. Mehr zum ÖWV in der Vorkriegszeit...
Der Aufschwung des ÖWV wurde durch den Kriegsausbruch 1914 jäh unterbrochen. Besonders Mädchen übernahmen nun die wesentlichen Aufgaben und Arbeiten im Bund und festigten somit ihre bis dahin bestrittene Stellung. Nach dem ersten Weltkrieg stand der ÖWV vor völlig veränderten Verhältnissen, doch durch das Engagement einiger Aktiver lebte der Bund in der Zwischenkriegszeit weiter. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten blühte dem ÖWV das gleiche Schicksal wie den meisten Jugendorganisationen: Durch die Reichsjugendführung wurde der ÖWV am 12. März 1938 aufgelöst. Mehr zum ÖWV in der Zwischenkriegszeit…
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte die Wiedergründung des ÖWV nur zögerlich und unter großen Schwierigkeiten. In den meisten Bundesländern geschah die Gründung aus der Initiative und unter der Leitung der älteren Generation, was Konflikte zwischen den Generationen zur Folge hatte und schlussendlich zur Gründung des Jungen Bundes am Bundestag 1953 führte. Mit der Zeitschrift „Der Junge Bund“ wurde im November 1953 ein Medium geschaffen, das das Leben des Jungen Bundes widerspiegelte und in dieser Form bis zu seiner Umbenennung in „Akternativ“ im Jahr 2008 existierte. 1967 wurde der ÖWV Mitglied der Nachfolgeorganisation der Meißnerbünde, des Ringes junger Bünde und blieb es bis zu seinem Austritt im Jahr 2015. 1969 wurde bei einem ersten internationalen Lager die Verbindung zu deutschen Wandervogelgruppen neu geknüpft, und bis heute gehalten. Nach einem starken Mitgliederzuwachs schien der ÖWV Mitte der 1970er Jahre vor einer Spaltung in einem traditionelleren musischen Kreis und einem progressiveren Lager zu stehen, von der heute nichts mehr zu spüren ist. Die 1980er waren geprägt von Engagement in der Umweltbewegung, sowohl einzelne Mitglieder als auch Gruppen beteiligten sich an Aktionen und Demonstrationen zum Schutz der Umwelt. Die immer wieder aufkommende kritische Beschäftigung mit der Vergangenheit des ÖWV erlebte um den Festbundestag zum hundertjährigen Bestehen (2011) einen Höhepunkt und wurde konstruktiv mit einer generationsübergreifend ausgearbeiteten Beschreibung, der Kefermarkter Erklärung, beschlossen. Außerdem führten die Diskussionen zur Umbenennung des Jungen Bundes in Junger Wandervogel und der Zeitschrift „Junger Bund“ in Akternativ (einer Wortzusammenstellung aus Aktiv und Alternativ). 2013 war der ÖWV mit 27 Mitgliedern beim Fest „100 Jahre Hoher Meißner“ vertreten. Mehr zum ÖWV nach 1945 …
Das Selbstverständnis des Österreichischen Wandervogels heute